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Bildung und Wissen
Sowohl von Studenten - wie auch von Politikerseite - hört man oft Berichte, das Medizinstudium sei zu theoretisch und ziele an den Anforderungen für eine moderne Berufsausbildung vorbei. Gelegentlich wird gar berichtet, Aerzte, die frisch von der Universität kommen, seien gefährlich, da sie während des Studiums keine praktischen Erfahrungen erwerben würden.
Mit Einführung der Studienreform 1997 wurde an der Universität Basel ein neuer Weg beschritten. Schon in einer frühen Phase des Studiums, nämlich im dritten Jahr, wird mit der praktischen Ausbildung der Studenten begonnen. Statt in Kursen mit Demonstrationen, wie man in der Praxis vorzugehen hätte, versucht man vermehrt, uns Studenten einzeln auszubilden. In einem gewissen Sinne lehnt man sich ans Lehrmeistersystem an, wie das in vielen kaufmännischen oder handwerklichen Berufen schon lange üblich und bewährt ist.
Der Medizinstudent hat heute die Möglichkeit, je nach Interessensgebiet aus einem Katalog einen freien Praktikumsplatz auszuwählen. Diese werden von Haus- und Spezialärzten in Stadt und Land, von Spitalärzten und von Aerzten in Forschungslabors, z.B. der chemischen Industrie angeboten. Mit dem zuständigen «Lehrmeister» muss der Student eine Vereinbarung treffen. Da ein grosser Teil der Studenten in einer frühen Phase praktische Fähigkeiten erwerben kann, kann einem allzu theoretischen Studium, das die Bedürfnisse der später zu betreuenden Patienten ausser Acht lässt, vorgebeugt werden.
Persönlich habe ich für mein Praktikum eine Hausarztpraxis im Baselbiet gewählt, um Einblicke in den Praxisalltag zu bekommen. Unter Aufsicht des Praxisinhabers, des «Tutors» kann ich den praktischen Teil der ärztlichen Arbeit in der Praxis erlernen. Ich kann beobachten, wie mein «Tutor» das ärztliche Gespräch führt und habe Gelegenheit, dies unter Aufsicht zu üben. Ich darf kleine Untersuchungen an Patienten vornehmen oder bei der Auswertung von Untersuchungsbefunden mitwirken. Die Durchführung von Laborarbeiten, das Erstellen von Elektrokardiogrammen («Herzkurven») oder von Röntgenbildern wird mir auch von der Praxisassistentin gezeigt. Am Schluss eines Praktikumsnachmittages folgt eine Besprechung, in der die gezeigte Leistung besprochen wird. Gelegentlich werden dann vom Lehrmeister Korrekturen angebracht oder nützliche Tips vermittelt.
Meiner Meinung nach wird mir durch diese Praktika der Einstieg in die selbständige ärztliche Tätigkeit wesentlich erleichtert und meine Studienmotivation verbessert. Meinen zukünftigen Patienten kommt vor allem zugute, dass ich bereits früh unter Anleitung eines erfahrenen Arztes gelernt habe, zielgerichtet das ärztliche Gespräch zu führen und dass ich die Krankheitsbilder aus der Hausarztpraxis und die gegenüber dem Spital unterschiedliche Vorgehensweise schon vor dem Staatsexamen kennen lerne.
Diese Neuerung in der medizinischen Ausbildung ist damit ein Dienst sowohl an den künftigen Aerzten und Aerztinnen wie auch an den künftigen Patienten.
Robert von Wattenwyl cand. med., Basel |
Arztserien haben auf allen Fernsehstationen Hochkonjunktur. Die Professoren und Doktoren Brinkmann, Frank und andere entsprechen in ihren «medizinischen» Entscheidungen unseren klassischen Vorstellungen: Die Erfahrung und Intuition der unermüdlichen Landärzte und unerschrocken operierenden Chirurgen ermöglichen den Fernsehpatienten auch in kritischen Situationen die richtige Behandlung.
Leider kann die Wirklichkeit mit diesem edlen Vorbild nicht mithalten. Die gleichen Massenmedien, die in ihren Medizinsendungen immer wieder über die neusten - vielfach noch nicht ausgereiften - Entwicklungen berichten, schlagen «Medizinskandale» mit allen für die Betroffenen tragischen Seiten breit. Immer wieder müssen neue, vielversprechende Medikamente zurückgezogen werden, da unakzeptable Nebenwirkungen auftreten. In Fachzeitschriften, im Internet und in Werbeschriften wird eine unüberschaubare Menge von medizinischem Wissen veröffentlicht. Selbst Spezialisten sind kaum mehr in der Lage, auf ihrem engen Gebiet den Überblick zu wahren. Zunehmend müssen auch Kosten-Nutzen-Erwägungen in ärztliche Entscheidungen einfliessen. Reicht in diesem Umfeld die - in den Arztserien im Fernsehen etwas überspitzt dargestellte, aber dennoch dem ärztlichen Alltagshandeln abgeschaute langjährige Erfahrung und Intuition noch aus, um die für den einzelnen Patienten am besten geeignete Abklärung und Behandlung zu finden? Gibt es überhaupt noch Auswege aus diesem Zwist?
Einen Weg, um trotz der scheinbar widrigen Umstände aus diesem Dilemma zu kommen und gute medizinische Entscheidungen zu treffen, bietet die aus dem angelsächsischen Raum stammende «Evidence based Medicine» (etwa als Beweisorientierte Medizin zu übersetzen). Geschichtlich gehen die ersten Ansätze dieser Denkweise bis in die Pariser Schule des frühen 19. Jahrhunderts zurück, als die verbreitete Methode des Aderlassens in Frage gestellt wurde. Es handelt sich also nicht um eine neue Spezialität, sondern eher um eine Methode, wie in allen Bereichen ärztlicher Tätigkeiten in Praxis und Spital, aber auch in der Gesundheitsvorsorge oder in der sog. Komplementärmedizin, vernünftige Entscheidungen getroffen werden können. In erster Linie sollen nicht Krankheitsphänome, Labordaten oder plausible naturwissenschaftliche Erklärungen Ausschlag für eine bestimmte Vorgehensweise geben, sondern die systematische Prüfung der Zweckmässigkeit von Interventionen. Beispielsweise ist es für den einzelnen Patienten unerheblich, ob sein erhöhtes Cholesterin durch ein Medikament um 3 oder 5% reduziert wird. Bedeutsam ist für ihn jedoch, ob durch diese Massnahme sein Risiko z.B. einen Herzinfarkt zu erleiden, reduziert wird. Ob durch die «Verschönerung» des EKG Herzrhythmusstörungen richtig behandelt werden, muss unklar bleiben. Gute Untersuchungen müssen die Verbesserung der Sterblichkeit, das Auftreten oder Ausbleiben einer Herzschwäche oder ähnliche prüfbare, für den Patienten bedeutsame Ereignisse bewerten. Durchgeführte klinische Studien müssen demnach hinsichtlich ihrer Qualität genau geprüft werden. Wenn der Stand des Wissens möglichst unverzerrt erfasst werde soll, ist der Aufwand zur Literatursuche enorm. Umfassende Untersuchungen zu einem gewissen Thema können nur durch grössere Forschergruppen (z.B. der Cochrane Foundation) vorgenommen werden. Auf diesen Arbeiten basieren auch die neuerdings häufiger ausgearbeiteten Behandlungsrichtlinien (guidelines). Der Einsatz von elektronischen Mitteln, insbesondere von Internet-Suchmaschinen, kann die Arbeit ganz wesentlich erleichtern. Kleinere Abklärungen können damit auch vom Praktiker oder vom Spitalarzt durchgeführt werden.
Hat damit die Intuition der Ärzte ausgedient? Dies ist klar zu verwerfen, denn nur der Arzt, der einen guten Weg zu seinen Patienten findet, kann mit diesem zusammen die individuell richtigen ärztlichen Entscheide treffen. Die Evidence-based Medicine ist dabei ein Werkzeug, genauso wie es Stethoskop, Reflexhammer, Labor oder Röntgenapparat sind.
Dr. med. F. Rohrer Innere Medizin FMH, 4415 Lausen |
Heute erhält man gelegentlich den Eindruck, vermehrte Ausbildung und Information der «Gesundheitskonsumenten» könnten fast alle Probleme des Gesundheitswesens lösen. Frau Bundesrätin Dreifuss hofft, man könne den Anstieg der Behandlungskosten durch verbesserte Information der Patienten bremsen. Wer besser im Bild ist, sollte sich nicht so leicht und ohne nachzufragen ein unnötiges Röntgenbild oder eine unnötige Operation «andrehen» lassen. Krankenkassen hoffen, den unnötigen Zugang zum Arzt durch vorgeschaltete Auskunftsdienste (z.B. Medgate) bremsen zu können. Fernsehärzte behandeln immer mehr Prominente vor laufender Kamera. Durch Ihre Sendungen fördern sie aber auch den Konsum ärztlicher Leistungen - unabhängig davon, ob es sich um nötige oder nur um wünschbare Behandlungen handelt. Auf dem Internet entstehen in rascher Folge Gesundheitsportale, Eingangstore, die zu den Gesundheitsthemen führen sollen. Neue Zeitschriften zum Thema Gesundheit finden laufend ihre Abnehmer. Selbsthilfegruppen für alle möglichen Erkrankungen wenden sich an die Betroffenen. Nicht zu vergessen sind auch die Wissenschaftsbeilagen angesehener Zeitungen wie der NZZ. Sogar die sonst eher bedächtigen Ärztegesellschaften bieten in Ihren Publikationen und Homepages zunehmend mehr Gesundheitsinformationen an.
Damit scheint es für jederfrau und -mann ein Leichtes zu sein, sich die benötigten Informationen zu holen, um alle möglichen Ansprüche an eine optimale Gesundheit erfüllen zu können. Beim Überfliegen des - sicher willkürlich zusammengestellten - ersten Abschnittes fällt auf, dass zwar vielerlei Informationen auf allen möglichen Wegen verfügbar sind, dahinter aber ganz unterschiedliche Absichten verfolgt werden. Diese reichen von vermehrtem Sparen bis zur Einladung alle möglichen Leistungen - auch bei fraglichem Nutzen - auch noch zu konsumieren. Beim genaueren Hinsehen sind viele dieser Informationsquellen trojanische Pferde. Durch die schöne Verpackung (z.B. eine gut gemachte Fernsehsendung) soll auf indirekte Weise der Absatz eines bestimmten Medikamentes oder der Besuch einer bestimmten Gruppe von Spezial- oder Hausärzten gefördert werden. Diese Werbebedürfnisse sind in einer freien Marktwirtschaft durchaus legitim, müssen aber im Umgang mit Gesundheitswaren oder Dienstleistungen - sogenannt «ethischen Produkten» - genau hinterfragt werden. Gerade dem Laien, der sich in diesem sich ständig wandelnden Umfeld zurechtfinden will, muss in einer klar einsehbaren Weise vermittelt werden, welche Interessen mit welcher Information verfolgt werden. Auch Informationen über Gesundheitsthemen haben - ähnlich wie «echte» Untersuchungen oder Behandlungen eine - inhaltliche - Qualitätskontrolle bestehen! Es wird sich dann zeigen, dass häufig nicht dort, wo es am meisten glänzt, die besten Informationen erhältlich sind und dass nicht die Fernsehsendung, die die spektakulärsten Operationen zeigt, die beste «Bildung», wie man seine Gesundheit fördern kann, vermittelt.
Gibt es solche Qualitätskriterien? Kann ein Laie diese auch anwenden und verstehen? Oder wäre es besser, auf komplizierte Bewertungen zu verzichten und auf den gesunden Menschenverstand zu bauen? Das letztere ist sicher ein ganz wichtiger Faktor, denn manchen Beeinflussungsversuchen kann man bereits auf diesem Wege und mit der Überlegung, was diese oder jene Information bezwecken will, aus dem Wege gehen. Ich bin der Meinung, dass es dennoch eine Art «Stiftung Warentest» benötigt, die bei der Bewertung von Gesundheitsinformationen mithilft; denn ohne ein strukturiertes Urteil über die Qualität der vermittelten Informationen und der Inhalte, über die Transparenz der Absichten des Informierenden, über die Aktualität und das wissenschaftliche Gewicht der Quellen bleibt immer eine Unsicherheit über den Wert des Gesehenen, Gelesenen oder Gehörten. Übrigens stehen Fachleute häufig genau vor den gleichen Problemen und benötigen ebenfalls die Hilfe von «Wissensvermittlern» und von strukturierten, heute meist elektronischen Bibliotheken. Bei der Bewertung anderer Kriterien wie Verständlichkeit und Lesbarkeit der Darstellung und Zuschnitt aufs Zielpublikum, Zugang und Verfügbarkeit von Internet-Quellen, Vorhandensein von Internet-Links zu verwandten Seiten, Umfang der Dokumentation, Möglichkeiten, schriftlich oder telephonisch weitere Auskünfte zu erhalten scheint es mir jedoch vernünftig, auf den eigenen Eindruck zu setzen. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, sich selbst genau zu überlegen, was man über dieses oder jene Gesundheitsthema wissen möchte, um damit die gebotene Information mit gezielten Fragen prüfen zu können.
Bei der Vielzahl der gebotenen Gesundheitsinformationen und der dahinter steckenden Absichten wird es immer schwieriger, genau jenes Wissen zu finden, dass hilft, die eigenen gesundheitlichen Fragen zur eigenen Zufriedenheit beantwortet zu erhalten. In Zukunft scheint es mir von grosser Bedeutung, dass Informationsangebote im Gesundheitswesen mit einer Art Qualitätsetikette gekennzeichnet werden. Für individuelle Fragen reicht aber auch dieses nicht aus. Hier kann nur das vertrauliche Gespräch mit einer Fachperson, sei es die Hausärztin oder der Hausarzt, ein für das gewünschte Thema zuständiger Spezialist, eine Apothekerin oder ein Apotheker oder mit der nötigen Befähigung ausgestattetes Personal von Versicherern, Spitalverwaltungen oder Ämtern.
Dr. med. Franz Rohrer Innere Medizin FMH, Schützenstr. 2, 4415 Lausen Informationskommission der Ärztegesellschaft Baselland |
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